Dissoumana

Wir befinden uns im Ortsteil Dissoumana, dem kleinsten der fünf Quartiere von Siby. Der Bürgermeister hat uns Seydou Doumbia als Begleiter mitgegeben. Ein chef de famille hält auf seinem Moped an und begrüßt uns. Er ist auf dem Weg zu einer vom Dorfchef einberufenen Versammlung. Es geht um die taxe locale de développement, die Kopfsteuer von 1.500 FCFA (2,25 EUR) pro Einwohner – ab zwanzig Jahren – und Jahr.

Hier wohnen an die fünfzig Familien in lose mit einander verbundenen, individuellen Gehöften. Die Türen stehen offen. Es gibt einen Brunnen und ganz in der Nähe einen kommunalen Gemeinschaftswasserhahn. Dort kann man morgens und abends gegen Gebühr seine Eimer und Kanister füllen. Um die Ecke befindet sich die neue Moschee, noch nicht verputzt.

Im November ist die Erdnussernte abgeschlossen. Von nun an liegen die Felder brach. Danach geht es in jedem Hof ans Schälen, Wörfeln, Auslesen, Einlagern und/oder Vermarkten, ausschließlich Frauenarbeit.

Die Speicher der Frauen, an ihrer Form erkennbar, sind bereits mit Erdnüssen gefüllt. Das sieht man an den mit Lehm verschlossenen Türchen. An einem markiert ein rotes Bändchen sozusagen fermé à clé. Die Besitzerin ist eine alte Frau, die sich kein Vorhängeschloss leisten kann oder vielleicht von einem solchen nichts hält.

Erdnüsse, sagt Seydou Doumbia, sind in unserer Gegend heute Frauensache. Am Rande ihrer Felder bauen die Frauen, landestypisch, Malven an (Bissap). Der Anbau von Mais und Sorghum ist dagegen Männersache.

 

Das ländliche Umfeld

Von der Nationalstraße her hört man den Autolärm und steht doch mitten auf einer Sandpiste in dörflicher Umgebung der Trockensavanne, in einem afrikanischen Dorf des Sahel, wie es typischer kaum sein könnte.

Große Gruppen hoher ausladender Mangobäume bestimmen das Bild, dazwischen immer mal wieder eine Palme, ein Baobab, ein wilder Feigen- oder ein Guaven-Baum; über die Felder verteilt – die für diesen Landstrich so typischen Karité-Bäume.

Die Höfe sind meist von traditionellen Lehmmauern umgeben, gelegentliche kleine Gärten oder Vieh-Kraale von Euphorbien-Hecken, deren giftige Blätter das Vieh nicht anrührt. Hühner und Perlhühner (pintades) picken Küchenabfälle wie die Reste von Getreide und Erdnüssen auf.

Die Wohn- und Küchenhütten sowie die kleinen Speicher (getrennt nach Getreide und Erdnüssen) stehen je nach Clan und Kleinfamilie oder Einzelpersonen in Gruppen um kleine Höfe und Arbeitsflächen zusammen. Sie sind teils mit Hirse-Reed bedeckt, teils mit Wellblech.

Die Hausstände sind ärmlich, die Ernten bescheiden. Aus diesem Milieu werden die Mädchen und jungen Frauen in die geplante moderne Landfrauenschule kommen; für sie ist das Zentrum vornehmlich gedacht.

 

Falaise

Von Bamako aus führt die Nationalstraße Nr. 5 in südöstlicher Richtung nach Guinea, immer etwa parallel zum Fluss Niger auf der linken Seite und der Falaise (Steilwand) der Mandingo-Berge auf der rechten Seite.

Diese vom Fluss Niger in Jahrmillionen ausgehöhlte Erosionskante des Mandingo-Plateaus verläuft malerisch, wild gezackt und steil abfallend. Manche härteren Felsformationen sind wie Inselberge stehen geblieben, so das spitz zulaufende Wahrzeichen des Örtchens Kamalek vor Siby oder der zylinderförmige Felsen am Ortsausgang von Siby.

Am bekanntesten ist aber der vier Kilometer hinter Siby gelegene Felsbogen, des Kamandjan (l’arche de Kamandjan), benannt nach dem Gründervater und König von Siby, Kamandjan Kamara, aus dem 13. Jahrhundert; erst unlängst, im November 2017, in die Liste der nationalen Denkmäler aufgenommen. An diesem geheimnisvollen Ort, der Sage nach durch einen magischen Akt des mit übernatürlichen Kräften ausgestatteten Königs entstanden, trafen sich die Großmeister der okkulten Künste.

Siby gehört zum Kernland des Mandé, dem Zentrum des legendären Reiches von Mali, das sich im 13. und 14. Jahrhundert von der Sahara im Norden, über die Küste Senegals im Westen und die ivorische Savanne im Süden bis in den Niger-Bogen im Nordosten erstreckte. Der Mandé ist die Heimat der Bambara und der Malinke.

 

Siby

Siby ist eine eher moderne ländliche Kleinstadt im Südosten Bamakos und liegt an einer der derzeit besten Asphaltstraßen des Landes, fünfzig km von der Hauptstadt entfernt. Siby ist zugleich der Hauptort (chef lieu) der 21 weitere Dörfer umfassenden ländlichen Gemeinde gleichen Namens von etwa 20.000 Einwohnern.

Diese Kleinstadt verfügt über alle in Mali üblichen „modernen“ Einrichtungen: eine Krankenstation, eine Schule, ein Bürgermeisteramt, eine Sous-Préfecture (Sitz des Unterpräfekten), je einen Mobilfunkmast der beiden großen Gesellschaften des Mobilfunks in Mali (Orange und Malitel), eine Forstverwaltung, eine Stromversorgung der Energies du Mali (EdM) und eine kleine Wasserversorgungsanlage – Adduction d’Eau – bestehend aus einem Bohrbrunnen, einem Wassertank und einem rudimentären Leitungssystem, mit Einzel- und Sammelanschlüssen.

Ein knappes Dutzend Campements, einfache Ansammlungen von Hütten für Gäste, sowie drei „Hotels“ – kaum von jenen zu unterscheiden – sind Ausdruck überzogener Erwartungen an den Tourismus. Gäste aus dem Ausland zählen heute zu den Ausnahmen.

Von Bamako aus kommt man am Ortseingang zunächst in den modernen Stadtteil Kakala. Im Zentrum liegen links der Straße die beiden größten Viertel: Sabankoro und Djinkono: rechts der Straße das dörfliche Dissoumana. Am südlichen Rand bildet sich ein rasch wachsendes neues, fünftes Stadtviertel: Kenjekouma.

Siby ist keine ‚normale‘ oder durchschnittliche Gemeinde von den mehr als siebenhundert von Mali, sondern wegen der Nähe zu Bamako und den damit verbundenen Bauerwartungen eine ganz besondere. Siby gehört zum Kreis von Kati, dessen umfängliche Verwaltung vor allem mit – oft strittigen – Grundstücksgeschäften im Speckgürtel der Hauptstadt zu tun hat.

Die größte Besonderheit des Ortes ist sein samstäglicher Wochenmarkt, der wichtigste westlich von Bamako. Dann erkennt man die Stadt nicht wieder.