Der Ast des Néré

In Tiencoura, einem Viertel von Siby, lebt die Familie Koné auf einem großen Hof, vier Brüder mit ihren Frauen und Kindern. Oumou Camara, 28 Jahre alt, hat vier Kinder mit dem jüngsten Sohn der Familie. Eine Schule hat sie nie besucht. Ist sie die einzige Ehefrau des jüngsten Bruders? „Bislang ja“ sagt sie, „in Zukunft wird er sicher noch eine andere heiraten – bis zu vier Frauen darf er“. Dann fügt sie mit einem Lächeln hinzu: „Bei uns ist das noch immer so.“

Die Felder der Familie,  insgesamt zehn  Hektar, ein Erbe des Ururgroßvaters, liegen fünf Kilometer südlich von Siby an der Piste nach Congola. Im zweijährigen Fruchtwechsel baut die Familie hier Hirse, Mais und Erdnüsse an.

 Auf diesen Feldern sind vier Frauen bei der Feldarbeit als sie während eines plötzlich aufkommenden Unwetters ein brechendes Geräusch in ihrer Nähe hören. Sobald der Sturm sich legt, gehen sie nachschauen.

Von einem hohen, wild gewachsenem Néré – Baum (Parkia biglobosa – bis zu 30 Meter hoch, Stamm-Durchmesser bis zu 130 cm) am Rande ihres Feldes ist ein riesiger Ast abgebrochen, von der Größe eines Baumstamms.

Als erstes suchen die Frauen einen großen Stein und wuchten ihn auf den abgebrochenen Ast. Bei den hier ansässigen Malinke das traditionelle Zeichen: „Nicht anrühren, der gehört uns.“

Eine Woche später rücken die vier Frauen mit ihren Buschmessern dem mächtigen Ast zu Leibe und hacken ihn in Stücke. Mit einem Katakatani (chinesisches motorisiertes Dreirad mit Pritsche) lassen sie das Holz ins Dorf abfahren und teilen es untereinander auf. Die 6 Fuhren kosten 15.000 FCFA (20 Euro).

Um die großen, schweren Aststücke in handbares Brennholz für die Küche zu zerteilen, brauchen die Frauen eine ganze Woche. Das Feuerholz, so schätzen sie, reicht jeder von ihnen mehrere Monate.

94 / März 2024