Chef de village

Kalifa Konaté wurde 1942 als viertes von zehn Kindern in die große Gründerfamilie von Kalassa geboren. „Unsere Vorfahren sind vor zweihundert Jahren hierhergekommen. Sie stammten aus Narena“ (vierzig Kilometer weiter westlich). Mit elf Jahren wurde er gegen seinen Willen wie den der Eltern als einziges Kind der Familie eingeschult. In der Kolonialzeit musste jeder Dorfchef mindestens einen Sohn zur Schule schicken. Seiner Intelligenz wegen fiel die Wahl auf ihn. Kalifa wurde gleich Klassenbester. Im zweiten Schuljahr erkrankte er an Röteln und konnte drei Monate lang nicht zur Schule gehen. Als er deshalb das Schuljahr wiederholen sollte, beendete Kalifa seine Schulzeit. „Meine Eltern waren zufrieden.“ Fortan war es seine Aufgabe, den Kühen, Schafen und Ziegen Futter zu bringen. „Später habe ich bereut, dass ich nicht länger zur Schule gegangen bin.“

Im Jahr 1959, noch vor der Unabhängigkeit Malis (1961), machte sich Kalifa Konaté auf den Weg. Im Grand Hotel in Bamako hatte er anderthalb Jahre in der Küche gearbeitet und für den Transport in die Elfenbeinküste gespart. Viele junge Malier arbeiteten dort auf den Kaffee- und Kakao-Plantagen. Er blieb fünf Jahre lang.

Danach kehrte er zurück und arbeitete wieder im Grand Hotel in Bamako; nicht mehr als Tellerwäscher, sondern als Koch, und blieb mehrere Jahre, bis ihm der geringe Lohn nicht mehr passte. In Niamey (Niger) arbeitete er drei Jahre als Koch und zwei Jahre lang in Ndjanema (Tschad). Von dort ging er für mehrere Jahre nach Riad (Saudi-Arabien). Französisch hat er nie gelernt, er fand immer jemand, der übersetzte. Seinen Eltern schrieb er etwa drei Mal im Jahr.

Nach mehr als zwanzig Jahren kehrte Kalifa Konaté 1984 in sein Heimatdorf zurück; inzwischen 42 Jahre alt. Seine Familie hatte sich durch die Heiraten der Geschwister verändert, so auch sein Heimatdorf: „Als ich ging, gab es kein einziges Haus mit Wellblechdach; das gab es nur in Bamako.“ Alle waren noch aus Lehm und mit Stroh gedeckt. Jetzt gab es viele Häuser aus Zement mit Wellblechdächern. 

Einen Monat nach seiner Rückkehr traf er bei einem Musikabend in Siby auf ein Mädchen, das ihm gefiel. „Wir haben miteinander gesprochen. Sie war schön.“ Sie war 14 Jahre alt. Zur Schule war Bintou Kamara nie gegangen. „Ich habe zehn Kolanüsse präsentiert, als ich um ihre Hand anhielt.“ Ein homme de caste traf die notwendigen Arrangements: 15.000 FCFA (damals ungefähr fünfzig Euro) als Brautpreis und eine Kuh. Ihre Eltern waren einverstanden. Die Hochzeit fand kurz darauf statt. Der erste Sohn wurde noch im gleichen Jahr geboren. Insgesamt haben sie sieben Kinder. 

Als vor dreißig Jahren sein älterer Bruder starb, nahm Kalifa Konaté dessen Witwe zu seiner zweiten Frau; so will es der Brauch. „Sie war älter als Bintou und Bintou hatte nichts dagegen.“ Mit der zweiten Frau (sie hatte bereits vier Kinder) bekam er sechs Kinder.

Kalifa Konaté hatte drei Millionen FCFA (4.500 Euro) aus der Fremde mitgebracht. Er baute Erdnüsse an und Hirse und pflanzte fünfhundert Mangobäume (Foto). Fünf Jahre später, 1990, erntete er die ersten Mangos. Gute Erntejahre wechselten mit schlechten. 

Kalifa Konaté ist seit zwei Jahren chef de village von Kalassa. Nach dem Tod seines vier Jahre älteren Bruders Karounga, fiel die Wahl auf ihn. „Ich mache das gerne.“ Sein Vater und sein Großvater waren zuvor Dorfchefs. „Wie man sich den Menschen im Dorf gegenüber verhält, habe ich von meinem Vater gelernt. Er sagte: ‚Ein Chef hat zu dienen.‘ So habe ich es immer gehalten. Ich bin jeden Tag im Dienst.“

75 / April 2022